Architecture and the Abstract Image
Die Ausstellung „American Photographs – Architecture and the Abstract Image“ zeigt knapp 50 Arbeiten - mit dem zeitlichen Schwerpunkt in den 30er und 40er Jahren des 20. Jahrhunderts - von über 30 Fotografen.
Neben so weltberühmten Fotokünstlerinnen wie Berenice Abbott, Margaret Bourke-White, Walker Evans und Julius Shulman, sind weiterhin André Kertész, Todd Webb, Alexander Rotdschenko, Arthur Siegel, Drahomir Ruzicka, Ruth Bernhard und Barbara Morgan vertreten. Doch auch weniger bekannte Fotografen wie Robert „Bob“ Leavitt, Irving Underhill, Mildred Hatry und Samuel H. Gottscho, die man heute selbst in den USA kaum mehr kennt, sind bei dieser Ausstellung zu sehen.
Seit Erfindung der Fotografie – vor genau 170 Jahren – hat sich nicht nur in der Technik viel verändert, die Fotografie hat sich zu einer eigenständigen
Kunstgattung mit unterschiedlichen Genres entwickelt. Viele Impulse gingen zwar von Deutschland aus, wurden aber in Amerika verfeinert und zur Perfektion gebracht. Darunter fällt auch die
Architekturfotografie, die ursprünglich mehr noch als die anderen, zunächst aus einem rein dienenden Aspekt heraus entstand. Auch dabei gibt es Unterformen, wie die klassische
Architekturaufnahme, die in erster Linie dazu dient, ein Bauwerk so realistisch wie möglich abzubilden, sei es aus dokumentarischen Gründen oder auch für Werbezwecke. Und trotzdem mit dem Problem
arbeiten muss, aus einer dreidimensionalen Wirklichkeit ein zweidimensionales Abbild zu schaffen.
Einer der großen auf die Innen- und Außenansichten von Gebäuden spezialisierten Fotografen, dessen Arbeiten heute sowohl dokumentarischen Wert als auch
künstlerischen Charakter aufweisen, ist der am 15. Juli 2009 verstorbene Amerikaner Julius Shulman. Ein Teil der Ausstellung ist seinen Arbeiten gewidmet.
Als einen seiner ersten Aufträge lichtete Shulman 1937 den vom Architekten Richard Neutra auf die Anforderungen und Wünsche der Auftraggeberin Grace Miller 1936 gebauten Bungalow in Palm Springs,
Kalifornien ab. Und schon bei dieser frühen Arbeit fand Shulman zu seiner ureigenen Handschrift, in dem er wie auf einer Bühne die Fotos inszeniert und wie in diesem Fall die Hauseigentümerin
lesend auf der mit Fensterglas umrandeten Veranda aufnimmt und Teile der kargen Landschaft mit aufs Bild nimmt.
Julius Shulman erfüllte mit seinen Arbeiten aber nicht nur den Auftrag des jeweiligen Architekten, ob es Richard Neutra oder später Pierre Koenig war, ein
Gebäude und die ihm umgebende Natur abzulichten, er fing auch den Lebensstil einer mondänen Gesellschaft und den Zeitgeist der 40er, 50er und 60er Jahre des letzten Jahrhunderts ein.
Eine ganz andere Intention besitzen die Arbeiten, wie die Bildikonen „Pike and Henry Street“ und „El“, aus einer Serie von Berenice Abbott. Anfang der 20er Jahre ging sie nach Paris und lernte
über Man Ray, in dessem Studio sie arbeitete, den französischen Fotografen Eugène Atget kennen. Nach Atgets Tod, 1927, erwarb sie einen Großteil seiner Fotoarbeiten der Pariser
Stadtansichten. Vom Werk Atgets inspiriert, stellte Abbott, nachdem sie 1929 nach New York zurückkehrte und die baulichen Veränderungen der boomenden Metropole wahr nahm, über mehrere Jahre eine
einzigartige Foto-Dokumentation zusammen. 1939 wurde diese unter dem Titel „Changing New York“ veröffentlicht. Hierbei deckt sie wie eine Archäologin die alten Bauwerke einer sich
verändernden Stadt auf und fängt Momente ein, die heute einer Zeitreise gleichen. Abbott ging es nicht darum, etwas zu verschönern, sondern die Wirklichkeit so abzubilden, wie sie sie
vorfand.
Noch viel klarer und analytischer und auf Details konzentriert, sind die Arbeiten von Margaret Bourke-White. Die in der Ausstellung gezeigten seltenen Vintage Prints sind 1931 entstanden,
kurz nach ihrem Einzug in das für sie vom Designer John Vassos ausgestattete Studio im Chrysler Building in New York. Hier werden die Dekors zu abstrakten Gebilden und lassen erst auf dem zweiten
Blick die eigentliche Funktion – in Säulen eingebaute Aquarien – erkennen.
© Erle Bessert