Zur Geschichte der Fotografie

Ein kleiner Exkurs

Das eine Auge des Fotografen schaut weit geöffnet durch den Sucher;

das andere, das geschlossene, blickt in die eigene Seele.

Henri Cartier-Bresson

 

 

Im Vergleich zu den traditionellen Bildformen – wie der Malerei und der Grafik – ist die Technik der Fotografie noch ein recht junges Medium. So wie wir sie heute kennen 175 Jahre alt. Als eine der ersten Fotografien, bzw. auch als ein unmittelbarerer Vorläufer der Fotografie an sich wird die Aufnahme „Blick aus dem Fenster“ von 1838 des Franzosen Louis Jacques Mandé Daguerre (1787-1851), nach dem auch das Verfahren Daguerreotypie benannt wurde, angegeben. Konkurrenz gab es aus England, wo der Privatlehrer William Henry Fox Talbot (1800-1877) schon 1834 erste Versuche unternahm, ein mit einer speziellen Lösung bearbeitetes Papier zu belichten.

 

   Auch wenn der Fotografie, die zum Ende des 19. Jahrhunderts immer mehr an Popularität gewann, lange Zeit die Anerkennung als Kunst verwehrt wurde, bangte schon damals manch mittelmäßiger Künstler um seine Existenz. Doch „das eigentliche Opfer der Photographie“, so Walter Benjamin, „wurde nicht die Landschaftsmalerei, sondern die Porträtminiatur.“ (Aus: „Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit – Drei Studien zur Kunstsoziologie“, 1931) Denn mit einem Fotoapparat konnte man sehr viel schneller – trotz der langen Belichtungszeiten, ohne die es zu jener Zeit noch nicht möglich war, ein Foto überhaupt zu erstellen – und kostengünstiger Landschaften und somit auch Menschen abbilden und dadurch die zeitaufwendigen Modellsitzungen verkürzen. Die ersten professionellen Ateliers in London, Paris, Berlin, Hamburg und Wien entstanden. 

 

   Einige der renommiertesten Maler wie Eugène Delacroix, Gustave Courbet, Edouard Manet, Paul Gauguin und Edgar Degas verwendeten die neue Technik sogar bewusst und ersetzten mit dem Fotoapparat das Skizzenbuch. Doch war die Fotografie in diesen Fällen zumeist nur ein technischer Notbehelf, ein Handwerk ohne einen eigenen künstlerischen Anspruch.

 

   In den letzten 35-40 Jahren des 20. Jahrhunderts ist jedoch ein Umdenken geschehen, so dass die Fotografie heute als eine eigenständige Kunstrichtung – mit vielen Unterabteilungen bis zur Kriegs- und Dokumentationsfotografie, Mode und Werbung, Architektur und Porträts usw. – angesehen wird und dabei den Weg in die Ausstellungshäuser, Galerien und in die großen Museen gefunden hat.

 

   Von Anfang an hat dabei die Fotografie in den USA im Gegensatz zu Europa eine ganz andere, ganz eigene Entwicklung genommen: Dort war sie von Anbeginn Ausdruck künstlerischer Schaffenskraft. Obwohl der Einfluss aus Europa und so auch aus Deutschland groß war – man denkt dabei nur an die Epoche der Kunstfotografie mit den Edeldruckverfahren – mussten sich Fotografen wie Edward Steichen und Alfred Stieglitz, die durch die „Pictorial Photography“ zu entsprechendem Ansehen kamen, nie aufgrund ihres künstlerischen Anspruches beweisen. Ein Hauptgrund, warum die Fotografie als ein selbstständiges Ausdrucksmittel wahrgenommen wurde, mag sein, dass es in den USA keine jahrhundertealte Maltradition gab. Die „pure“ Fotografie konnte sich sehr viel leichter durchsetzen, auch war eine größere Experimentierfreude – wie man es bei der „Straight Photography“ erkennen kann – gegeben.

 

© Erle Bessert